Roland Ionas Bialke - 25. Oktober 2006
Am Sonnabend dem 21. Oktober 2006 fand in Berlin-Tegel eine Demonstration der
Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) statt. Diese bundesweit durch
NationalistInnen organisierte Demonstration wurde für den inhaftierten Nazi-Sänger Michael
Regener unter dem Titel „Freiheit für Lunikoff“ veranstaltet.
Die NPD meldete eine Demonstration mit anschließendem Konzert vor der Justizvollzugsanstalt Tegel, in der Regener einsitzt, an. Es wurden mehrere tausend nationale DemonstrantInnen, mehrere tausend GegendemonstrantInnen, es fand eine Gegendemonstration statt, und mehrere tausend PolizistInnen erwartet.
Ich wollte gegen diese rassistische Demonstration etwas tun. Gefängnisse in der heutigen Form sind unmenschlich und müssen abgeschaft werden. Allerdings forderten die nationalen DemonstrantInnen nicht „Freiheit für alle Menschen“ sondern „Freiheit für alle Nationalisten“ - Und das ist ein gewaltiger Unterschied. Allein schon diese negative Diskriminierung hatte mich gegen diese DemonstrantInnen aufgebracht. Aber ich wusste zudem, dass die NationalistInnen vor, während und nach dem Konzert andere Menschen angreifen würden und einen Befreiungsversuch von Michael Regener unternehmen wollten.
Aus geheimpolitischen Gründen muss ich nun etwas ungenauer werden. Ich wollte mit anderen Kameraden als Mimikry Antifa während des Konzerts medienwirksam die Bühne der NationalistInnen angreifen und dabei auch ihre Instrumente und PA zerstören.
Ich stieg eine Station zu früh aus, da ich meine Kameraden verpasste. Ich hatte mir einen mit Lineal gezogenen Scheitel gekämmt und eine teuer aussehende Tarnjacke angezogen. Dazu trug ich schwarze Halbschuhe und eine militärisch wirkende Hose. An dieser Stelle hatte ich schon drei Fehler gemacht, aber mehr dazu später.
Als ich aus der Bahn ausstieg fragte mich ein junger Mann im Black-Block-Stil gekleidet wo ich denn hingehen würde. Ich wusste nicht ob er nationaler Demonstrant, Gegendemonstrant oder Zivilpolizist war. Daher antwortete ich relativ geschickt, dass ich zur Demonstration wolle und schon mal zur Bühne gehe. Ich war total aus dem Plan geraten und versuchte mich zu orientieren.
Als ich die Bühne erreichte waren da nur etwa 50 Leute. Darum fragte ich eine Polizistin wo denn die Demonstration sei. Sie fragte mich welche ich meinte und ich erwiderte: „Die nationale, natürlich!“ Daraufhin schaute sie mich ziemlich böse an und meinte, dass die Demonstration in einigen Minuten hier ankommen würde. Ich setzte mich zu einem älteren Mann in eine Bushaltestelle an der Bühne und sah unter anderem Detlef Mirek, der Essen an seine Kameraden verkaufte.
Der alte Mann filmte mich plötzlich überauffällig mit seinem Mobiltelefon, wahrscheinlich, weil ich mir meinen Scheitel falsch gekämmt hatte oder ich ein böser Nazi war. Wie auch immer, ich blieb in meiner Rolle und stand auf, bewegte mich vor die Bühne und gesellte mich zu einem jungen Paar. Ich konnte nun Gegendemonstranten seitwärts aus der Ferne hören und von vorne kamen lautstark etwa 1000 nationale DemonstrantInnen. Sie wurden von vielen PolizistInnen begleitet, die einige, vielleicht 50, Gegendemonstranten abschirmten. Es kam kurz zu Nazis-Raus-Rufen, allerdings wirkte noch das alte Sandwich-Prinzip der Polizei und die GegendemonstrantInnen wurden sofort von der NPD-Demonstration verwiesen.
Meine Kameraden fehlten, also schlug nun meine Stunde. Als ich diese gewaltige Masse an NationalistInnen sah stieg mein Blutdruck kräftig an. Ich versuchte mich zu beherrschen, nicht zu zittern oder irgendwelche Gesichtskrämpfe zu bekommen. Ich nahm meine Handschuhe aus meiner Jacke, verlor dabei dummerweise einen Zettel. Das junge Paar neben mir machte mich nun darauf aufmerksam und ich hob den Zettel auf um ihn einzustecken. Zum Glück bemerkten sie neben dem Inhalt des Flyers auch nicht die asiatischen Schriftzeichen auf meiner Hose. Als ich meine Handschuhe angezogen hatte ging ich gleichmäßig auf das Mischpult vor der Bühne zu. Es hätte keinen Sinn gemacht irgendetwas auf der Bühne anzugreifen, denn ich war allein. Aber ohne Mischpult, und es war ihr einziges, hätten sie ihr Konzert auch nicht durchführen können.
Ich konnte meinen Kopf nicht mehr fühlen. Ich spürte nur meinen Herzschlag und die gemeinschaftlich skandierten nationalen Parolen. Ich hörte nicht und sah auch nichts mehr. Ich wusste nur, dass ich zu dem Mischpult gelangen musste um es zu zerstören. Alle Aufmerksamkeit war auf den eintreffenden Aufzug gerichtet, darum hatte ich schon das Mischpult in meinen Händen. Ich nahm an, dass das Mischpult schwerer sei, aber es war ein ziemlich leichtes Plastikgerät. Daher verschätzte ich mich als ich das Mischpult auf die Strasse knallte. Plötzlich hatte ich mehr Aufmerksamkeit als mir lieb war. Ich nehme an, dass etwa 10 Leute diese Aktion mitbekamen, was meine Flucht begünstigt hätte. Allerdings standen überall NationalistInnen die mich bei einer schnellen Flucht gut umhauen hätten können. Daher entschied ich mich sarkastisch „Nazis Raus“ zu rufen. Nach kurzer Zeit hatte ich auch schon sehr viele PolizistInnen um mich herum die mich schließlich rausbrachten.
Ich wurde in ein Polizeiauto hinter die Bühne gebracht, wo ich gut zwei Stunden dem Konzert zuhören konnte. Wie schade, das Mischpult ging nicht kaputt und ein NPDler konnte auf der Bühne „Ich bin froh ein Nazi zu sein!“ sagen. Aber wenigstens hatte ich das Konzert für einige Minuten verzögert, wie Jörg Hähnel, der gegen mich Strafantrag stellte, mir bestätigte. Zwischenzeitlich schauten auch mal NPD-Vorsitzender Udo Voigt und ex-FAPler Eckart Bräuniger vorbei und fragten sich warum der Kamerad denn im Polizeiauto saß. Später wurde ich zuerst in eine Zwischensammelstelle und dann in die Gefangenensammelstelle nach Berlin-Tempelhof gebracht.
Mimikry Antifa