Roland Ionas Bialke - Indymedia - 9. Januar 2011
Mitte bis Ende November 2010 fand (verdeckt) in Deutschland eine Welle von Wohnungsdurchsuchungen statt, die sich gegen klandestine Chemikalienhandel und Strukturen der sogenannten "deutschsprachigen Hobby-Sprengmeisterszene" richtete. Neben gezielten Tricks um an Daten zu kommen und entführungsähnlichen Szenarien, wurden auch wieder Postsendungen abgefangen und präpariert.
Stuttgart, der 10. November 2010 - Ein Mitbegründer des grössten deutschsprachigen Forums für Hobby-Sprengmeister (ehemals xplosives.org) meldet, dass er eine Wohnungsdurchsuchung hatte. Die Polizei wurde gab sich operativ als Käufer von Chemikalien aus, ermittelte über "den Weg des Geldes" die Daten des Verkäufers. Schon zuvor gab es gegen diese Person zwei Wohnungsdurchsuchungen und polizeiliche Observationen, um Quellen der Chemikalien und andere Händler zu ermitteln. Diesmal wurden in Stuttgart rund 100 Kilogramm Chemikalien gefunden und beschlagnahmt. Die beschlagnahmten Chemikalien (u.a. Ammoniumnitrat, Kaliumnitrat, Aluminiumpulver und Plastifizierungsmittel für C4) können legal gehandelt werden, nur in diesem Fall fehlte zum Handeln die Steuernummer und ein gesetzmässiges Lager für die Chemikalien.
Wie die Polizei vorgeht
Durch intensive und operative Ermittlungen der Polizeibehörde(n) wurde ein Teil des Handelsnetzwerks aufgedeckt. Die Polizei geht so vor, dass sie sich in Foren registriert oder sich über klandestine Youtube-Channals vertrauen erschleicht. Die Kreativität der Behörden kennt da keine Grenzen. Eigene "Hobby-Sprengvideos" werden zum Vertrauen gewinnen hochgeladen oder die Polizei schreibt und veröffentlicht dutzende Beitrge, u.a. auch "richtige Bombenbauanleitungen", in den entsprechenden Foren.
Ebenso übernimmt die Polizei Foren-Accounts von etablierten Nutzern. Wenn beispielsweise eine Person von der Polizei Chemikalien kauft und unvorsichtigerweise, und das passierthufig, seine reale Adresse angibt - oder der Nutzer bei einer Aktion - erwischt wird, dann wird die in Aussicht stehende hohe Strafe zu einem Druckmittel und zu oft der Forenaccount freiwillig herausgegeben.
Und auch verschlüsselte Computer nutzen nicht viel...
Nachdem die rekonstruierte Stuttgarter Kundenliste von der Polizei abgearbeitet worden war, es traf in den folgenden Tagen die vermuteten grossen Fische und die, die der Polizei unbekannt waren, folgte der nächste Schlag gegen den klandestinen Chemikalienhandel im deutschsprachigen Raum. Diesmal am 25. November 2010 im sächsischen Plauen. Und ebenfalls unbemerkt und relativ gut abgeschottet vor den kommerziellen Medien.
Nach einem Tarnankauf von Chemikalien bei der Plauener Person, die ebenfalls bekannter führender Kopf des (ehemaligen) xplosives.org war, bekam dieser Besuch von etlichen Polizisten und Polizistinnen. Die Verschlüsselung des Computers umgang die Polizei perfekt, denn der voll verschlüsselte Computer des Händlers war angeschaltet. Das machte die Polizei so: Ein Polizist chattete gerade mit dem zu Durchsuchenden, kurz bevor und während die Polizei in sein Haus eindrang. So konnten die meisten der Kundendaten (insofern sie gespeichert waren), Fotos, Videos, Keys, Programme und Passwörter von der Polizei ausgelesen werden.
In die Wohnung drangen achtzehn Polizisten, hauptsächlich in ziviler Kleidung, ein. Zivile Autos patroullierten in der Gegend. Aus dem entfernten Leipzig forderte die Polizei extra ein spezielles Panzerfahrzeug an, in dem bis zu 2 Kilogramm Sprengstoff zur Detonation gebracht werden kann. Neben den Beamten in ziviler Kleidung wurden bis zu vier Hunde in das Haus geführt und ein speziell mit Schutzanzug bekleideter Entschrfer untersuchte die Chemikalien.
Gefunden wurde nur das harte Zeug - Insgesamt etwa fünfhundert Kilogramm Chemikalien. Darunter Kaliumcyanid, Natriumnitrit, Kaliumnitrat, Plastifizierungsmittel (PE) für C4-Sprengstoff und Ammoniumnitrat. Fertige explosionsgefährliche Stoffe jedoch nicht. Die durchsuchte Person wurde während der Durchsuchung von den Polizisten bedroht und beleidigt.
Postmanipulation und Verschleppung
Für die durchsuchte Person ging es aber nicht auf die Polizeiwache oder in die Zelle, und auch freigelassen wurde sie erstmal nicht. In einem zivilen Auto wurde er auf ein Fabrikgelände im sächsischen Land gefahren. Dort wurde er gezwungen einen angeblichen Tatort einer Sprengung anzusehen. Der noch minderjhrige Händler sollte anscheinend eine psychische Abreibung bekommen, die ihn eine Lehre sein sollte.
Doch schon vor der Durchsuchung ging es merkwürdig zu. Zum Aufbau eines klandestinen Netzwerks wurden von der Plauener Adresse Chemikalien im Wert von mehreren tausend Euro per Paketpost zu einem anderen Händler in Schleswig-Holstein geschickt. Doch die Post verschwand in den Fängen der Polizei.
Geheime Ermittlungen - Auch in Berlin
In Berlin geht es mit der Repression im Geheimen weiter. Mitte Dezember 2010 bekam ich Akteineinsicht in über fünfzehn dicken Aktenordnern. In den Ordnern sind unvollständig Ermittlungen gegen mich im Zusammenhang mit der deutschsprachigen Hobby-Sprengmeisterszene und klandestinen Chemikalienhandel dokumentiert. Zuvor musste ich mich schon mit zehn ähnlich dicken Ordnern befassen. Bis der Inhalt für juristische Zwecke ausgewertet ist, dauert es noch eine Weile.
Doch schon abzusehen ist, dass die Polizei nur einen Bruchteil der Ermittlungen und "Operationen" in den ausgehändigten Ermittlungsakten dokumentiert bze. überhaupt dokumentiert. Oft werden auch durch die Behörden intinierte oder ausgedachte Konstrukte als ermittelte Fakten in den Ermittlungsakten dokumentiert. Beispielsweise gab es vier Durchsuchungen wegen des Verdachts auf geplante Amokläufe, von denen ein Polizeizeuge, der namentlich nicht in den Akten auftaucht ("Zeuge ist der Dienststelle bekannt", steht in den Ermittlungsakten) In einem Fall taucht sogar ein fiktiver Zeuge auf, der angeblich vorgesprochen hat und "der Dienststelle bekannt" ist. In meinen Fall handelt es sich sehr wahrscheinlich um einen Beamten des Bundesamtes für Verfassungsschutz in Köln.
Randnotiz: Ein Richter des Kammergerichts Berlin (OLG Berlin) verschickte Anfang 2010 eine Daten-DVD mit "Bombenbauanleitungen", damit diese von "der Szene im Internet" verbreitet würde.
Aber auch sonst sind die Behörden in Berlin gut operativ unterwegs. Neben den bekannten Diskreditierungsversuchen in jeglicher Weise (schreiben unter meinen Namen, Streuen von Gerüchten) und an jeglichem Ort (z.B. Arzt, Arbeitsamt, Internet) werde ich auch ab und an observiert. Beispielsweise stolperte eine Observationskraft nach einem Prozesstag im sogenannten mg-Prozess in der U-Bahn fast über meine Füsse. Nun, am Silvesterabend 2010 wurde ich ebenfalls observiert. Das ist logisch, da an dieser lauten Nacht oft Anschlge und Ausschreitungen stattfinden.
Parallelen zu den Durchsungen von linken Buchläden
Obwohl es auf den ersten Augenblick nicht so scheint, gibt es Parallelen zu den durchsuchten linken Buchläden. Auch hier ist das Thema "klandestine Projekte". Klandestin kann jedes Projekt sein, aber wenn es nichts aus sich herausbringt oder in sich hineinträgt, dann wird das klandestine Projekt sterben. Kommunikation, Geldfluss und Mitgliederaustausch bzw. -rekrutierung sind Beispiele, die für die Detektierung von klandestinen Projekten dienen können.
Durch das Internet kann Kommunikation relativ sicher gemacht werden. Aber bei der Finanzierung und Gewinnung neuer Mitglieder stossen klandestine Projekte an ihre Grenzen. Bewährt hat sich ein Prinzip, nennen Wir es "Blinky-Prinzip", bei dem öffentlich agierende Personen (Blinkies) nichts mit einer klandestinen Gruppe zu tun haben, aber am Austausch von Kommunikation, Finanzen etc. mitwirken.
Wenn in der Sprengmeisterszene eine Person beispielsweise Geld von einem Käufer (Polizei) zugeschickt bekommt, dann gibt dieser es über einen relativ sicheren Kommunikationsweg (z.B. Proxy, Schlüssel) weiter. Wenn die Polizei nun die Person, die die Zahlung erhalten hat, durchsucht, dann wird sie bei ihr nichts finden. Denn eine andere Person verschickt anonym die Chemikalien. Durch bestimmte Verschleierungstechniken ist es sogar möglich sich eine Weile aus der Strafverfolgung zu winden.
Das Problem ist aber, nach einer Weile lässt sich das Geheime bei diesem Trick ausmessen. Wenn ich bei dem Beispiel bleibe, dann müsste, die Person, die die Zahlung erhalten hat, auch wissen wo das Geld hingeht und wo und wie die Bestellung hinvermittelt wird. Im Falle von nicht verzögerten Übergaben, müsste die Person wissen, an wen übergeben wurde. Beim ersten Mal wird bestimmt keine Aufmerksam vorhanden sein, aber wenn der Trick öft wiederholt wird und immer wieder Kontakt mit den Repressionsorganen deswegen besteht, dann ist es nur logisch, dass die übergebende Person etwas genaueres weiss. Das mag etwas kryptisch klingen, ist aber pure Logik und ist ein Sachverhalt, der sich ausmessen lässt.
Xplosives lebt weiter
Mehrere Niederschläge konnten das nicht totkriegen. Nach meinen Weggang im Herbst 2010 hat sich ein neues Kollektiv gegründet und die Leute machen weiter. Ich werde mich nicht weiter an der Organisation beteiligen, jedoch weiter über das Geschehen und der Repression rund um die Szene informieren. Genau wie die Mernschen in den durchsuchten linken Buchläden wollen die Menschen im Xplosives sich nicht zensieren lassen. In einigen Wochen wird es zum 5-jährigen Jubiläum des Xplosives etliche regionale Treffen geben. Auch hier wird sich über das Thema Repression ausgetauscht.
Solidarität mit der Interim, der Radikal und den von Repression betroffenen Buchläden!
(Der Begriff "Hobby-Sprengmeister" wurde nicht gegendert, weil es sich hierbei fast um ein reines männliches Phänomen handelt. )